Andrei Arlovski: „Auf meinem Gehaltsscheck steht nichts von Zuschauern“
Andrei Arlovski wird nicht müde. GNP1 erreicht ihn am Mittwochabend im Hotel in Las Vegas, während er gelangweilt darauf wartet, dass die Corona-Tests seiner Betreuer negativ zurückkommen. Gerade ist seine 33. Fight Week in der UFC für den 41-Jährigen aus Belarus angebrochen – in der Nacht auf Sonntag (ab 3 Uhr bei DAZN) tritt der „Pitbull“ dem zwölf Jahre jüngeren Kanadier Tanner Boser gegenüber, der zuletzt zwei Knockouts nacheinander holte. Arlovski gibt sich vor dem Kampf so motiviert wie eh und je. Mit GNP1 spricht er über seinen Gegner und seine Frau– aber nicht über die Proteste in Belarus.
GNP1: Andrei, du hattest in deiner Karriere schon alles erlebt. Dann kam Corona. Wie nimmst du das MMA-Kämpferleben während der Pandemie wahr?
Andrei Arlovski: Das ist mein zweiter Kampf, der inmitten dieses Corona-Mists stattfindet. Der erste Kampf war in Jacksonville (, Florida, ein Punktsieg im Mai gegen Philipe Lins, d. Red.). Es war weniger stressig. Wir sind von Miami nach Jacksonville gefahren, wir hatten eine tolle Zeit, die Restaurants waren offen. Jetzt sieht das etwas anders aus. Mein Test ist negativ zurückgekommen, ich warte nur noch auf das Ergebnis meines Teams.
Also eigentlich alles wie immer?
Nichts hat sich geändert. Die UFC macht genau das, was sie schon vorher getan hat. Sie haben ein paar Kleinigkeiten an Corona angepasst, aber die Kämpfe gehen weiter.
Dieser Kampf wird ohne Fans stattfinden. In deinem letzten Kampf hast du das bereits erlebt – wie war es?
Es ist kein großer Unterschied, um ehrlich zu sein. In Jacksonville war meine Erfahrung, dass alles sehr straff durchgezogen worden ist. Du hast gekämpft, du hast dein Interview gegeben und bist wieder abgehauen. Einfach, schnell – und eigentlich ziemlich cool.
Du giltst ja ohnehin als jemand, der mit dem ganzen Rummel um die Kämpfe herum nicht viel anfangen kann.
Hör zu, auf meinem Gehaltsscheck steht nichts von Zuschauern. Dass kein Publikum erlaubt ist, ist schlecht für den Sport und für die Fans, schätze ich. Aber für mich ändert sich nichts am Geld, und außerdem ist es angenehmer für mich.
Kämpferisch läuft es für dich aktuell recht gut, du hast zwei deiner letzten drei Kämpfe gewonnen. Davor lief es ein paar Kämpfe lang nicht so gut, und dieses Auf und Ab hast du in der UFC zuletzt häufiger erlebt – woran liegt das?
Es kommt darauf an, diszipliniert zu sein. Als ich gegen… Wie hieß der noch… Rozenstruik! Als ich gegen ihn gekämpft habe, habe ich ihn nicht ernst genommen. Irgendwie hat er mich besiegt und Overeem auch, und dann war er plötzlich Top Ten oder sogar Top 5. Für mich geht es Schritt für Schritt. Ich habe ein paar Entscheidungen getroffen, ein paar Änderungen vorgenommen – mir geht’s gut. (Tanner) Boser ist ein zäher, junger Kerl. Wir werden sehen, was passiert.
Dir wurden in letzter Zeit häufiger solche jungen, aufstrebenden Schwergewichte vorgesetzt. Was hältst du von dieser neuen Generation?
Meine Generation kämpft immer noch. Ich würde sagen, das bedeutet, dass die Alte Schule eine der besten Schulen ist (lacht).
Also gehst du davon aus, ihnen auch weiterhin zeigen zu können, wie der Hase läuft.
Vielleicht, vielleicht. Aber hör zu, ich kümmere mich um mich selbst. In dieser Situation musst du egoistisch sein. Ich weiß, dass ich ein großartiges Trainingslager hatte. Großartige Trainer. Jetzt ist es Zeit, rauszugehen und zu tun, was ich tun muss. Mich an die Strategie halten. Ganz simpel.
Du bist mittlerweile über 40 – wie hält man in so einem auslaugenden Sport derart lange seine Motivation oben?
Die UFC wird älter und ich auch, und Prioritäten verschieben sich. Ich habe heute andere Dinge, für die ich mich verantwortlich fühle. Ich bin ein verantwortungsbewusster Vater. Ich weiß, für was und für wen ich kämpfe. Warum ich das hier tue. Zunächst habe ich echtes Glück, weil meine Frau mich tun lässt, was ich liebe. Ich liebe hartes Training und harte Kämpfe, das ist meine Leidenschaft. Meine Frau und meine Familie… Sie unterstützen mich, und glaub mir, ich bin manchmal ein Arsch. Ich bin so gesegnet, dass ich großartige Menschen um mich herum habe.
Die letzten Wochen über war Jon Jones‘ Wechsel ins Schwergewicht ein großes Thema. Du hast mit ihm trainiert – wie, glaubst du, wird er sich bei den großen Jungs schlagen?
Der Unterschied zwischen Halbschwer- und Schwergewicht ist definitiv sehr groß. Wir werden sehen. Ich habe heute in einem Interview mit Ariel Helwani gelesen, dass (Jan) Blachowicz gesagt hat, Jones wäre aus dem Halbschwergewicht geflüchtet, weil er nicht gegen ihn kämpfen will. Ich denke, das ist Bullshit, aber wer weiß. Wir werden sehen, was alles passiert.
Ebenfalls ständig in den Nachrichten ist dein Heimatland Belarus. Dort wird seit der als manipuliert wahrgenommenen Wiederwahl des Präsidenten Alexander Lukaschenko protestiert. Wie nimmst du diese Situation aus der Ferne wahr?
Kein Kommentar. Ich verfolge natürlich die Nachrichten, aber ich will dazu nichts sagen. Alles, was gerade passiert, ist Mist.
Das gilt dann wahrscheinlich genauso für…
…Das gilt genauso für die US-Wahl (lacht). Sie zählen noch die Stimmen aus, wir werden sehen.
Das bist du diese Woche offensichtlich schon häufiger gefragt worden. Du versuchst also einfach, diese äußeren Faktoren völlig auszublenden und dich nicht aus deinem Tunnelblick für den Kampf werfen zu lassen?
Ja, ich habe noch ein paar Interviews heute, danach gehe ich eine Runde laufen und noch ein bisschen trainieren. Und wenn ich morgen aufwache, ist der Kampf wieder einen Tag näher gerückt.
Aktuell wird ja stark darauf geachtet, euch zu isolieren. Wie weit darfst du dich vom Hotel entfernen, um zu joggen?
Ich habe keine Ahnung. Als wir hier ankamen, hat uns der Sicherheitsdienst nicht einmal unser Gepäck im Hotel ablegen lassen, weil wir direkt zu einem Test mussten. Danach mussten wir irgendeinen Schei… irgendwelche Papiere unterzeichnen. Als wir dann ins Hotel durften, habe ich ein bisschen trainiert, mir Nachrichten über Belarus angeschaut (grinst), jetzt habe ich das Interview mit dir und das ist eigentlich alles. Die nächsten Tage werden ziemlich langweilig, ich habe mir ein paar Bücher mitgenommen.
Was für Bücher? Romane?
Nein, nein. Ich lese im Moment viel über Samurai. Eins handelt von einem Russen und seiner Schule. Das habe ich gerade erst angefangen, und das werde ich direkt vor dem Kampf lesen.
Hört sich nach einer guten Strategie an, um sich in die richtige mentale Zone zu bringen.
Ja, das ist der Plan.